Tanzen – eine feste Größe in der Ukraine

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Am 24. Febru­ar brach­te der Kreml – Dik­ta­tor Putin Ver­der­ben über die Ukrai­ne und zumin­dest wirt­schaft­lich über die gan­ze Welt. Nur einen Tag spä­ter mel­de­ten die Nach­rich­ten, dass sich bereits Zehn­tau­sen­de auf der Flucht in Rich­tung Wes­ten befin­den.

Bei Tan­zen in Kiel e.V. war man sich von die­sem Zeit­punkt an sofort im Kla­ren, dass Arbeit auf den Ver­ein zukommt. Aus der eige­nen Mit­glie­der­sta­tis­tik weiß man, dass ein nicht gerin­ger Teil der Mit­glie­der aus Ost­eu­ro­pa, bevor­zugt aus Russ­land und der Ukrai­ne stammt, weil Tan­zen ins­be­son­de­re für die Kin­der und der Jugend in die­sen Regio­nen Euro­pas einen beson­de­ren Stel­len­wert ein­nimmt.

Noch einen Tag spä­ter war man dann auch bereits vor­be­rei­tet. Men­schen, die genau­so wie die Deut­schen ticken und aus einem ver­gleich­ba­ren sozia­len Milieu stam­men wur­den über Nacht ihrer Sicher­heit und ihres All­ta­ges beraubt. Völ­lig klar, dass das ins­be­son­de­re an Min­der­jäh­ri­gen nicht spur­los vor­bei geht – post­trau­ma­ti­sche Stö­run­gen inklu­si­ve. Was hilft? Das ver­eins­ei­ge­ne Ver­ständ­nis ver­steht Tan­zen sowie­so als bes­te Lösung gegen alles Mög­li­che. Schreck­li­che Kriegs­er­leb­nis­se und Ver­lus­te waren schon 2015 ein­mal The­ma und wür­den es jetzt wie­der sein.

Womit hat der Ver­ein gerech­net? Mit Kin­dern, Jugend­li­chen und auch Erwach­se­nen, die den Tanz­sport lie­ben und mit Men­schen, die plötz­lich in Flücht­lings­un­ter­künf­ten leben müs­sen und denen, nach den ers­ten Tagen in der Auf­re­gung des Ankom­mens und der For­ma­li­tä­ten, die Decke auf den Kopf fällt. Und genau­so ist es dann auch gekom­men.

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400 kg Lebens­mit­tel – Gesam­melt bin­nen 48 Stun­den nach einem Hil­fe­auf­ruf von Kiel hilft e.V. zur Ver­sor­gung der Flücht­lin­ge in der Kie­ler Flücht­lings­un­ter­kunft in der Arko­na­stra­ße in der Wik

Alle Ange­bo­te wur­den für „Gäs­te“ aus der Ukrai­ne geöff­net. Kos­ten­frei natür­lich. Ver­schie­de­ne Trainer*innen und Eltern mit ukrai­ni­schen und rus­si­schen Sprach­kennt­nis­sen haben sich als Dol­met­scher ein­ge­bracht und die Ange­bo­te in ukrai­ni­scher und rus­si­scher Spra­che gelis­tet. Ganz fix wur­den auch spe­zi­el­le Pla­ka­te ent­wor­fen und über die Social Media – Kanä­le geteilt. Und natür­lich wur­de auch eine Home­page – Sei­te zusam­men­ge­stellt. Der Ver­ein hat damit tat­säch­lich Rou­ti­ne, denn 2015 konn­te man mit einer iden­ti­schen Akti­on für die syri­schen Flücht­lin­ge schon gute Erfah­run­gen sam­meln. Auch damals war Dank­bar­keit der größ­te Lohn.

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Per­ma­nen­te Spiel­zeug­samm­lung für ukrai­ni­sche Kin­der zum Mit­neh­men.

Seit Ende der Oster­fe­ri­en kom­men nun täg­lich neue Gäs­te. Es ist anders als 2015. Für Ukrai­ner ist die Situa­ti­on teils pein­lich, denn eigent­lich wol­len sie nichts geschenkt bekom­men, denn wie wir sind sie es doch eigent­lich gewohnt, für Leis­tun­gen zu bezah­len. Die Geschich­ten, die sie zu erzäh­len haben, sind für uns Deut­sche ver­stö­rend und schwer fass­bar.

Gleich ist aber eines: Das Lachen nach einer Tanz­stun­de egal, ob im Kin­der­tanz, im Bal­lett oder Hip Hop oder beim Senio­ren­tanz. Ein kur­zer Zeit­raum der Unbe­schwert­heit, der Gold wert ist. Und Rei­bun­gen gab es über­haupt nicht. Wenn die Gäs­te erst­mal beim Tan­zen sind, kann man nicht mehr erken­nen, wer von wo kommt. Tan­zen als uni­ver­sel­le Spra­che.

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Katha­ri­na, 12 Jah­re alt, Pro­fi­tän­ze­rin aus Niko­laev auf Part­ner­su­che, denn ihr Part­ner ist in Ita­li­en gelan­det.

Der Lan­des­port­ver­band Schles­wig-Hol­stein hat in einer ers­ten Akti­on zunächst Sport­un­fall­ver­si­che­rungs­schutz kos­ten­frei her­ge­stellt. Tan­zen in Kiel e.V. und auch vie­le ande­re Ver­ei­ne wol­len nichts für ihre Ange­bo­te und die Mit­glie­der unter­stüt­zen das alles maß­geb­lich. Wie es lang­fris­tig wei­ter geht, wer län­ger bleibt oder viel­leicht gar nicht mehr gehen möch­te, das wird man abwar­ten müs­sen und im Augen­blick ist das auch nicht wich­tig.

Trau­rig ist aller­dings, dass vie­le beglei­ten­den Eltern mit rus­si­schem Sprach­hin­ter­grund oft lie­ber drau­ßen war­ten, weil die Deut­schen sie „komisch“ angu­cken, wenn sie ihre Spra­che spre­chen. Eini­ge Eltern haben ganz klar geäu­ßert, dass sie zu Zei­ten gebo­ren sind, wo es noch kein Russ­land und kei­ne Ukrai­ne gab, son­dern eine Sowjet­uni­on. Und sie ver­ste­hen sich als eins. Und sie wei­sen dar­auf hin, dass die Pres­se jetzt gern über rus­si­sche Putin-Ver­ste­her berich­tet, die aber doch nur eine Min­der­heit sind.
Und dann sind da schon die All­tags­pro­ble­me eines Tanz­ver­eins.

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Dasha, 18 Jah­re alt, Pro­fi­tän­ze­rin aus Char­kiw auf Part­ner­su­che, da ihr Part­ner zur Ver­tei­di­gung ein­ge­zo­gen wur­de. Sie selbst sagt: „Tan­zen ist die bes­te Her­aus­for­de­rung in einem neu­en Land. Die Spra­che ist kein Pro­blem, denn beim Tan­zen gibt es kei­ne Gren­zen.“

Auch bei den Ukrai­nern sind die tan­zen­den Mädels deut­lich in der Über­zahl. Und nun wird halt nach männ­li­chen Gäs­ten unter 18 gesucht. Aber das ist der Ver­ein ja wirk­lich gewohnt. Zusätz­lich fällt natür­lich auf, dass das Leis­tungs­ni­veau beson­ders im Jugend­be­reich doch ein schö­nes Stück höher ist als bei den Deut­schen.

Das nächs­te Pro­jekt steht für Tan­zen in Kiel e.V. schon an: Um auch wirk­lich allen Tanz­su­chen­den aus der Ukrai­ne ein Ange­bot zu machen, wer­den jetzt ukrai­ni­sche Trainer*innen ein­ge­ar­bei­tet, um dann auch spe­zi­el­le Ange­bo­te nur für Ukrai­ner zu bil­den, die noch nichts in den ande­re Grup­pen fan­den oder wo die Spra­che noch ein unüber­wind­ba­res Hin­der­nis ist.

Was immer auch am Ende die­ser neu­en Welt­ord­nung steht, ein gewis­ser Kri­sen­mo­dus scheint wohl die neue Nor­ma­li­tät zu wer­den. Und wenn in der Zukunft dann als nächs­tes Men­schen aus Russ­land eine neue Hei­mat suchen, weil Putin ihnen am Ende die Mög­lich­keit, zu einem gut­bür­ger­li­chen Leben raubt, dann wird bei Tan­zen in Kiel e.V. nie­mand Kla­ge erhe­ben und man wird sich auf eine wei­te­re Auf­ga­be schnell vor­be­rei­ten.

Bericht und Fotos: Tan­zen in Kiel e.V.

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Dasha, 18 Jah­re alt, Pro­fi­tän­ze­rin aus Char­kiw

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