West Coast Swing – ein Tanz erobert die Welt…

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(…und vom Wahnsinn, wozu man durchs Swing tanzen fähig wird)

TanzeninKiel Lifestyle 052022

West Coast Swing – der kali­for­ni­sche Kult­tanz: Swing tan­zen ist eigent­lich eine der ältes­ten moder­nen Paar­tanz­for­men des 20. Jahr­hun­derts. Schon in den spä­ten 20er – Jah­ren fand Swing Ein­zug in die Tanz­häu­ser, Tanz­pa­läs­te und Tanz­schu­len der gol­de­nen Jah­re. Spä­ter als Lin­dy Hop bezeich­net, über­steht Swing eher als poli­tisch-revo­lu­tio­nä­re Rand­er­schei­nung die Jahr­zehn­te und wird auch heu­te noch zur Musik der 20er- oder 50er – Jah­re getanzt. Gleich­zei­tig bot der Swing die Grund­la­ge für eine gan­ze Rei­he der Gesell­schafts­tän­ze. Jive im Latein­be­reich, Quick­step und Slow Fox­trott im Stan­dard­be­reich und natür­lich Dis­co­fox. Aber Kult­sta­tus – den gibt es erst seit ganz weni­gen Jah­ren. Dafür aber welt­weit!

Vor gut 10 Jah­ren hat ein schlau­es (und ver­mut­lich sehr geschäfts­tüch­ti­ges) Tanz­leh­rer­paar unter der Son­ne Kali­for­ni­ens den alten Tanz modern inter­pre­tiert und auf die aktu­el­len Radio – Charts gepackt. Popu­lä­re Figu­ren von ande­ren Tän­zen wur­den kopiert und platz­spa­ren­des Tan­zen stand im Mit­tel­punkt. Und das schlug ein wie eine Bom­be, flit­ze durch die USA, sprang über den Atlan­tik (und übri­gens auch über den Pazi­fik) und lan­de­te dann 2016 auch bei uns in Kiel. West Coast Swing, kurz WCS, unter­schei­det sich gra­vie­rend. Getanzt wird auf alles, was Spaß macht und gut im Ohr klingt. Gelernt wird im Eil­tem­po, denn eigent­lich alle Cho­reo­gra­fien oder Figu­ren sind ein­fach und immer dar­auf aus­ge­legt, dass schnellst­mög­lich größ­te Erfol­ge und Spaß erreicht wer­den. Und das wich­tigs­te: Man kann allein kom­men, den die Paa­re sind nicht fest­ge­legt. Einer tanzt den „Lea­der“, ein ande­rer tanzt den „Fol­lower“. Geschlecht spielt dabei nur eine unter geord­ne­te Rol­le. Alle paar Minu­ten schalt ein lau­tes „High Five“ durch den Saal und dann wird getauscht. Spä­tes­tens dann kann es sogar vor­kom­men, dass mal für zwei Minu­ten zwei Män­ner mit­ein­an­der tan­zen. Im Herbst 2016 kam West Coast Swing bei Tan­zen in Kiel an und ver­brei­te­te sich rasant. Mit Coro­na kam ein Dämp­fer, denn Part­ner­tausch war natür­lich völ­lig tabu. Inzwi­schen läuft das wie­der und die Sze­ne akzep­tiert es nun auch, dass nicht jeder tau­schen mag. Für kom­mer­zi­el­le Tanz­schu­len war WCS nichts, denn alles Wesent­li­che, um eine Nacht lang an einer WCS-Par­ty teil­neh­men zu kön­nen, ver­mit­teln einem die Tanzlehrer(innen) gern mal in einem 60 Minu­ten – Work­shop. Das ist dann natür­lich nicht wirt­schaft­lich.

Inzwi­schen gibt es Wett­be­wer­be, die meist nachts statt­fin­den und bei den auch immer die Par­ty im Mit­tel­punkt steht. Alter völ­lig egal und wer mit wem in der Nacht sich dem Wett­be­werb stellt, ist zu Beginn des Abends auch meist nicht klar. Es ist eben nur Spaß! Social Dance ist das Stich­wort, was auch gern die Sal­sa, Bachata und Tan­go Argen­ti­no – Leu­te für sich in Anspruch neh­men. Die ken­nen halt den West Coast Swing noch nicht und strei­ten lie­ber über Styl­es. Aller­dings hat die­ser Tanz dann doch ein selt­sa­mes und für den Ander­stan­zen­den manch­mal auch befrem­den­des Eigen­le­ben ent­wi­ckelt.

Social Media macht es mög­lich – all­jähr­lich ver­bin­det sich die Sze­ne rund um den Glo­bus, ent­wi­ckelt zu einem Chart­hit eine kur­ze Cho­reo­gra­fie, ruft dann zu welt­wei­ten Flash­mobs auf und tanzt den WCS zeit­gleich an hun­der­ten Orten auf allen Kon­ti­nen­ten mit anschlie­ßen­der Ver­öf­fent­li­chung bei You­Tube. Inter­es­sant ist auch, dass sich die Com­mu­ni­ty deutsch­land­weit stän­dig zu Par­ties ein­lädt, so dass man eigent­lich jedes Wochen­en­de irgend­wo tan­zen und fei­ern kann. Und das Unge­wöhn­li­che: Die fah­ren tat­säch­lich los!

Ent­wi­ckelt haben sich auch ein paar inter­na­tio­nal aner­kann­te WCS-Pro­fis, die es ver­stan­den haben, das Gan­ze auch in Geld umzu­wan­deln. So kann man in Euro­pa min­des­tens zwei Mal im Monat an einem Work­shop-Wochen­en­de, meist in einer schi­cken Metro­po­le, teil­neh­men, ler­nen und Par­ty fei­ern. Auch in Kiel steht so ein Work­shop im Okto­ber auf der Tages­ord­nung. Das kos­tet dann auch durch­aus mal 100 Euro Ein­tritt + Rei­se­kos­ten. Die Kie­ler freu­en sich jetzt schon auf eine gro­ße skan­di­na­vi­sche Com­mu­ni­ty. Es ist für den Ein­zel­nen dann auch nur noch ein kur­zer Weg vom gele­gent­li­chen Tan­zen zu inter­na­tio­na­len Kon­tak­ten und dem Wunsch, mög­lichst oft über­all dabei zu sein. Exem­pla­risch steht für unse­ren Ver­ein der Tän­zer Flo­ri­an Brü­der­le (42). Ursprüng­lich in den Gesell­schafts­tän­zen behei­ma­tet, lies er sich von Anfang an vom WCS begeis­tern und steht inzwi­schen dann auch euro­pa­weit auf dem Par­kett. Um an den Rei­se­kos­ten zu spa­ren kam Flo­ri­an Brü­der­le im Som­mer 2021 erst­mals auf die Idee, das WCS – Event – Wochen­en­de mit einem sport­li­chen Urlaub zu ver­bin­den. Er kauf­te sich eine Hän­ge­mat­te, schwang sich aufs Fahr­rad und radel­te mal kur­zer­hand von Kiel ins pol­ni­sche Dan­zig. Eine wirk­lich stol­ze Leis­tung. Hotels braucht man dann ja auch nicht, denn irgend­wo im Wald kann man, zwar mücken­ge­plagt, aber den­noch gemüt­lich die Hän­ge­mat­te auf­hän­gen und paar Stun­den schla­fen.

Die­se stol­ze Leis­tung galt es Flo­ri­an dann die­sen Som­mer noch zu über­bie­ten. Nächs­tes Ziel eines Fahr­rad – Tanz – Aus­flu­ges: Zum Event „Westie on the Pro­me­na­de“ in Can­nes an der fran­zö­si­schen Côte d’Azur. Der Unter­schied zum Vor­jahr: Statt knapp 800 km ent­lang der schö­nen und bekannt­li­cher­wei­se fla­chen Ost­see­küs­te, 1600 km mit der Schwie­rig­keit, dass zwi­schen unse­rem Nor­den und der Mit­tel­meer­küs­te da so eine geo­gra­fi­sche Her­aus­for­de­rung namens „Alpen“ steht. Und bei genaue­rer Betrach­tung endet der fla­che Nor­den für Rad­fah­rer schon 100 km süd­lich von Ham­burg im Weser­berg­land.

Bis zur Schwei­zer Gren­ze folgt dann ein Mit­tel­ge­bir­ge nach dem ande­ren, zieht dann in das alpi­ne Hoch­ge­bir­ge bevor kurz vor dem Ziel die Alpen qua­si in das Mit­tel­meer hin­ab fal­len. Kann man mal machen. Die meis­ten bevor­zu­gen jedoch das Flug­zeug. Flo­ri­an Brü­der­le nahm für den Rück­weg die Bahn und konn­te auch berich­ten, dass die Kräf­te für ein par­ty­rei­ches WCS – Tanz­wo­chen­en­de nicht mehr voll­stän­dig vor­han­den waren. Zudem muss­ten auf der 17tägigen Rad­tour aller­lei Pro­ble­me bewäl­tigt wer­den, wie hef­ti­ge Gewit­ter, nächt­li­che Wild­tier­be­su­cher, Ver­lust der Brem­sen und ande­re tech­ni­sche Defek­te (in den Alpen beson­ders wit­zig!) und dann auch noch die Gesund­heit und der eigent­lich stän­dig unbe­que­me Fahr­rad­sat­tel…

Flo­ri­an Brü­der­le hat sich aber zwei­fels­oh­ne Respekt ver­dient und den Titel „Kie­ler West Coast Swing – Tanz­bot­schaf­ter“. Und wir alle ler­nen: Fängt man irgend­wann mit dem Tan­zen an, egal was, so weiß man nie, wohin einen das im Leben so führt. Den einen führt es vor den Altar, den andern eben auf Alpen­gip­fel. Wie­der ande­re wer­den Welt­meis­ter oder fol­gen Herrn Llam­bi zu RTL und wer­den reich oder hegen am Ende eines tanz­rei­chen Lebens den Wunsch, auch auf dem Par­kett glück­lich zu ster­ben. Und das, lie­be Leser, ist sogar schon vor­ge­kom­men.

Bericht: Tan­zen in Kiel e.V. | Fotos: Flo­ri­an Brü­der­le

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