Darf ich in Würde altern? – Ein Heim sollte ein Zuhause sein!

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Darf ich in Würde altern?

Ein Heim sollte ein Zuhause sein!

In Zei­ten, in denen alle vom Pfle­ge­not­stand spre­chen und immer wie­der von schlech­ten Zustän­den in Pfle­ge­hei­men berich­tet wird, woll­tenac wir uns ein Pfle­ge­heim mal von innen anse­hen. Nach vie­len Tele­fo­na­ten durf­ten wir das Alten- und Pfle­ge­cen­trum Flint­bek besu­chen, eine der weni­gen Ein­rich­tun­gen, die uns gleich bei der ers­ten Kon­takt­auf­nah­me mit offe­nen Armen ein­ge­la­den hat. Wir waren über­rascht wel­che mas­si­ven Unter­schie­de es zwi­schen den Bewer­tun­gen in den Such­ma­schi­nen und den Pfle­ge­por­ta­len über die­ses Pfle­ge­heim gab. Wir waren neu­gie­rig, zumal ande­re Hei­me, im Gegen­satz zu die­ser Pfle­ge­ein­rich­tung, sehr vor­sich­tig und zurück­hal­tend reagiert haben, als wir über sie berich­ten woll­ten.

Ein­ge­bet­tet zwi­schen wun­der­schö­nen alten Bäu­men und mit­ten im Grü­nen liegt das Alten- und Pfle­ge­cen­trum Flint­bek. Als wir auf den Ein­gang des ehe­mals umge­bau­ten Bau­ern­ho­fes zugin­gen, bewun­der­ten wir einen male­ri­schen und lie­be­voll gestal­te­ten Gar­ten umge­ben von Blu­men und Sträu­chern mit Strand­kör­ben und ande­ren Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Im Ein­gangs­be­reich tob­te das Leben. Hier herrsch­te ein reger Betrieb. Eini­ge Bewoh­ner gin­gen Arm in Arm mit Ihren Pfle­gern lachend durch die Flu­re, ande­re Bewoh­ner erzähl­ten sich Wit­ze wäh­rend die Pfle­ger sie in den Roll­stüh­len an uns vor­bei scho­ben, wie­der­um ande­re saßen still da und blick­ten ins Grü­ne.

Wir tra­fen auf die stell­ver­tre­ten­de Heim­lei­te­rin und pri­va­te Trä­ge­rin Karin Per­kuhn, die uns freu­de­strah­lend begrüß­te. Eine reso­lu­te, aber den­noch warm­her­zi­ge, offe­ne und freund­li­che Power-Frau. Bei einer Tas­se Kaf­fee und fri­schen Kek­sen erzähl­te sie uns, dass sie drei Hei­me in Flint­bek, Nüb­bel und War­der lei­tet. Wobei die Ein­rich­tung in Nüb­bel auch über Plät­ze für SGB XII für Alko­hol- und Sucht­kran­ke ver­fügt. Dort leben Jung und Alt zusam­men, was sehr gut funk­tio­niert und man gegen­sei­tig von­ein­an­der lernt und pro­fi­tiert, erzählt sie uns.

„Die sozialen Werte und Empathie sind in unserer Gesellschaft teilweise verloren gegangen…“

Karin Per­kuhn ist sowohl in Flint­bek als auch in der Pfle­ge groß gewor­den. Der Groß­teil Ihrer Fami­lie arbei­tet seit meh­re­ren Gene­ra­tio­nen in medi­zi­ni­schen, sozia­len oder päd­ago­gi­schen Beru­fen. Vor kur­zem hat sie die Lei­tung der Ein­rich­tung in Flint­bek an ihre Toch­ter Wen­ka Per­kuhn wei­ter­ge­ge­ben. Zusam­men mit ihrer zwei­ten Toch­ter Vanes­sa und Enke­lin Aka­sha bil­den die­se vier Power­frau­en, die sta­bi­len Säu­len die­ser erfolg­rei­chen von frau­en- und fami­lie­ge­führ­ten Ein­rich­tun­gen.

Auf den Pfle­ge­not­stand ange­spro­chen, erzählt sie uns, dass vie­le Men­schen sehr auf die eige­ne Kar­rie­re und das Geld ver­die­nen fixiert sind und lei­der über die Jah­re und Gene­ra­tio­nen die sozia­len Wer­te und Empa­thie in unse­rer Gesell­schaft teil­wei­se ver­lo­ren gegan­gen sind. Ande­rer­seits sind es die immer gerin­ger wer­den­den Pau­scha­len der Kran­ken- und Pfle­ge­kas­sen für einen ein­zel­nen Pati­en­ten, die eine ange­mes­se­ne Bezah­lung des Per­so­nals unmög­lich machen. Eben­falls sind es aber auch die Heim­auf­sich­ten, die immer mit neu­en Ver­ord­nun­gen, Vor­ga­ben und Vor­schrif­ten, zeit­rau­ben­de Doku­men­ta­tio­nen und Pro­to­kol­lie­run­gen for­dern. Der rie­si­ge Ver­wal­tungs­apart kos­tet Zeit. Zeit, die ihrer Mei­nung nach in vie­len Ein­rich­tun­gen, bes­ser für die Bewoh­ner und Pati­en­ten ein­ge­setzt wer­den soll­te.

Das Alten- und Pfle­ge­cen­trum Flint­bek arbei­tet nach SIS (Struk­tu­rier­te Infor­ma­ti­ons­samm­lung), einem Struk­tur­mo­dell zur Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung der Pfle­ge­do­ku­men­ta­ti­on. Hier ste­hen die Bedürf­nis­se und indi­vi­du­el­len Wün­sche des Pati­en­ten bei der Pfle­ge und Ver­sor­gung im Vor­der­grund.

Wenn Ihr wis­sen möch­tet, wie so eine Doku­men­ta­ti­on auf­ge­baut wird, haben wir auf unse­rer Web­sei­te unter
www.loarno.de/perkuhn-heime ein Bei­spiel hin­ter­legt.

Wir star­te­ten mit Karin Per­kuhn einen Rund­gang durch das gan­ze Haus. Und wenn wir Euch erzäh­len, durch das gan­ze Haus, dann mei­nen wir es in die­sem Fal­le auch so. Nichts wur­de uns vor­ent­hal­ten. Der Groß­teil der hel­len und schö­nen Zim­mer stand offen und wir durf­ten uns alles anschau­en. Was uns wirk­lich über­rasch­te, war die Tat­sa­che, dass jeder Flur kom­plett anders gestal­tet wur­de und jedes ein­zel­ne Zim­mer anders und indi­vi­du­ell ein­ge­rich­tet war. Nur die Pfle­ge­bet­ten und Klei­der­schrän­ke waren größ­ten­teils ein­heit­lich. Egal aus wel­chem Fens­ter wir blick­ten, wir blick­ten ins Grü­ne und sahen wun­der­schö­ne Natur.

„Wir haben die Flu­re unter­schied­lich gestal­tet, damit sich unse­re demen­ten Bewoh­ner zurecht­fin­den. Sie ver­ges­sen vie­les, aber aus uner­find­li­chen Grün­den kön­nen sie sich an den Flur, in dem sich ihr Zim­mer befin­det, erin­nern!“, erzählt uns Karin Per­kuhn.

Hier ent­sprach nichts unse­rer bis­he­ri­gen Vor­stel­lung eines Alters­heims.

Hier wirk­te nichts ste­ril und kalt in einem Ein­heits­brei mit Kran­ken­haus­flair. Es roch weder muf­fig, noch nach Des­in­fek­ti­ons­mit­tel.

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„Sie kön­nen ger­ne mit uns zu Mit­tag essen!“, sag­te Frau Per­kuhn lie­be­voll zu uns. Um ehr­lich zu sein, haben wir etwas gezö­gert, aber setz­ten uns dann doch zu den Bewoh­nern an den Tisch. Es gab Chi­li con Car­ne und wir stell­ten uns inner­lich auf eine völ­lig zer­koch­te und nüch­tern gewürz­te Mahl­zeit ein. Nach dem ers­ten zöger­li­chen Löf­fel wur­den wir eines Bes­se­ren belehrt! Das Chi­li war frisch gekocht, kräf­tig gewürzt und wir muss­ten, sie­he da, auch rich­tig kau­en. Das dazu gereich­te Baguette war warm und rich­tig knusp­rig. Auch der Scho­ko­pud­ding zum Nach­tisch war cre­mig und schmack­haft. Wir haben in unse­rem Leben schon viel schlech­ter geges­sen, hier kann sich man­che Gast­stät­te eine Schei­be von abschnei­den.

Neben uns saß eine Dame und auf die Fra­ge, war­um sie sich hier wohl füh­le, ant­wor­te­te sie: „Ich war zuvor in einer ande­ren Ein­rich­tung. Ich bin alt und etwas tüdelig. Beim Essen kle­cker und krüm­mel ich. Hier wer­de ich von kei­nem, wie ein klei­nes Kind gemaß­re­gelt und man putzt mir nicht schon beim Essen hin­ter­her. Ich darf mir hier Zeit las­sen, ohne dass mir ein Pfle­ger oder eine Pfle­ge­rin im Nacken sitzt und schimpft, wenn mal etwas nicht schnell genug geht. Ich kann hier in Wür­de mei­ne letz­ten Jah­re ver­brin­gen! Hier wer­de ich nicht zu einem durch­ge­tak­te­ten Tages­ab­lauf gezwun­gen!“ Die­se Aus­sa­ge mach­te uns wirk­lich trau­rig, aber auch wütend.

Die­ses Heim war für uns in jeg­li­cher Hin­sicht eher wie eine gro­ße Wohn­ge­mein­schaft. Die Ein­rich­tung war nicht hoch­mo­dern, ste­ril und tech­nisch auf dem neus­ten Stand. Aber es ist ein respekt­vol­les Mit­ein­an­der. Hier wird jedes Mit­glied, von der Putz­kraft, über die Pfle­ge­kräf­te und Bewoh­ner bis hin zur Heim­lei­tung glei­cher­ma­ßen wert­ge­schätzt.

„Ein Heim sollte ein Zuhause sein!“

“Wir möch­ten, dass sich unse­re Bewoh­ner wohl füh­len. Ein Heim soll­te ein Zuhau­se sein! Schließ­lich bedeu­tet das Wort „Heim“ ja auch genau das! Wir möch­ten, dass es hier aus­sieht wie bei Oma oder Opa zu Hau­se. Des­we­gen wird bei uns auch jedes Zim­mer anders gestal­tet und indi­vi­du­ell ein­ge­rich­tet. In den Flu­ren hän­gen unter­schied­li­che Bil­der aus alten und neu­en Zei­ten. Es soll für die Bewoh­ner hei­me­lig sein, schließ­lich ist die­se Ein­rich­tung oft­mals für die letz­ten Jah­re des Lebens auch ein Zuhau­se!“, sagt uns Karin Per­kuhn nach dem Essen.

Die­se Aus­sa­gen von Frau Per­kuhn brach­te uns zum Nach­den­ken. Um ehr­lich zu sein, emp­fan­den wir die Ein­rich­tung tat­säch­lich wie bei Oma und Opa zu Hau­se. Es war für uns per­sön­lich, sagen wir mal, doch „etwas Alt­ba­cken“. Natür­lich wün­schen wir unse­ren Ver­wand­ten, dass sie in einer Ein­rich­tung unter­ge­bracht wer­den, die viel­leicht top­mo­dern, schön und neu ein­ge­rich­tet ist. Aber decken sich unse­re Ansprü­che mit denen unse­res Fami­li­en­mit­glie­des? Denn was bringt ein modi­sches und neu­es Sofa, wenn unse­re Lie­ben sich in ihrem alten, völ­lig abge­nutz­ten Fern­seh­ses­sel wohl füh­len.

Dies soll­te man bei der Aus­wahl eines Pfle­ge­hei­mes aus unse­rer Sicht drin­gend beach­ten. Unse­re Ansprü­che sind oft wesent­lich höher oder anders, als das was unse­re Ver­wand­ten viel­leicht möch­ten.

„Wie wäre es, wenn Sie sich hier mal kurz allei­ne umse­hen und sich mit den Pfle­gern und Bewoh­nern unter­hal­ten?“, sag­te uns Frau Per­kuhn. Die­se über­ra­schen­de Aus­sa­ge bestä­tig­te unse­ren Ein­druck, dass die­se Heim­lei­tung von Anfang an, nichts zu ver­ber­gen hat­te.

Wir tra­fen einen jun­gen Pfle­ger im Gar­ten bei sei­ner Pau­se und frag­ten ihn nach sei­ner Mei­nung über den Pfle­ge­not­stand. „Immer wenn in den Medi­en über Hei­me oder die Pfle­ge berich­tet wird, ist es nur nega­tiv! Schlech­te Bezah­lung, wid­ri­ge Arbeits­be­din­gun­gen, schlech­te Zustän­de in den Hei­men! Das schreckt vie­le Men­schen ab, in die­sen Beruf über­haupt ein­zu­stei­gen!“, ent­geg­net er trau­rig. Ja, es sei manch­mal ein kör­per­li­cher und psy­chisch schwe­rer Beruf, aber auch unglaub­lich erfül­lend. Er lernt soviel von sei­nen Bewoh­nern. All die­se Lebens­weis­hei­ten, Geschich­ten aus alten Zei­ten, aber auch Eigen­schaf­ten wie Zuge­hö­rig­keit, Zusam­men­halt, Empa­thie, Respekt, aber vor allem Beschei­den­heit, erfährt er in die­sem Beruf. Es sind manch­mal nur Klei­nig­kei­ten, die die Augen sei­ner Bewoh­ner zum Leuch­ten brin­gen und sie glück­lich macht. Man braucht Empa­thie, Geduld, Ver­ständ­nis, aber auch Pro­fes­sio­na­li­tät und das ist bei vie­len nicht mehr der Fall, ergänzt er.

Er selbst ist vor vie­len Jah­ren zuge­ge­zo­gen und hat als 450 Euro Kraft im Pfle­ge­heim in Flink­bek ange­fan­gen. Jetzt arbei­tet er Voll­zeit und er möch­te weder von sei­nem Beruf weg, noch von die­sem Heim. Als Abschluss unse­res Gesprä­ches, baten wir ihn, uns mit einem ein­zi­gen Satz zu sagen, was ihn im All­tag als Pfle­ger glück­lich macht. Ohne gro­ße Über­le­gung sag­te er mit leuch­ten­den Augen und einem strah­len­den Lächeln:

„Es macht mich glücklich, wenn ich morgens ins Zimmer komme und die Bewohner mich erkennen und sich an mich erinnern!“

Die­ser beschei­de­ne Satz stimmt uns nach­denk­lich und hall­te tat­säch­lich noch tage­lang in uns nach.

Nach fast fünf Stun­den ver­ab­schie­den wir uns von den Bewoh­nern, Pfle­ge­kräf­ten und Frau Per­kuhn. Sie kennt im Übri­gen jeden Bewoh­ner beim Namen und kann aus dem Steh­greif über die Bedürf­nis­se, Sor­gen, Gewohn­hei­ten und Krank­heits­bil­der jedes ein­zel­nen berich­ten. Dies trifft auch auf Ihre Mit­ar­bei­ter zu. Eine für uns bewun­derns­wer­te Per­sön­lich­keit! Mit einem Kopf vol­ler Ein­drü­cke fah­ren wir an die­sem Tage schwei­gend und nach­denk­lich nach Hau­se. Wir zol­len die­ser Ein­rich­tung mit all sei­nen Mit­ar­bei­tern, Pfle­ge­kräf­ten und Frau Per­kuhn den aller­höchs­ten Respekt für Ihre Arbeit und Ihrem Wil­len, die Bewoh­ner mit Ihren Bedürf­nis­sen immer an aller­ers­ter Stel­le zu sehen.

Wir sind dank­bar und ehr­fürch­tig, dass wir die­se wun­der­ba­ren Men­schen ken­nen­ler­nen durf­ten, aber auch gleich­zei­tig unglaub­lich trau­rig, dass die­se Hei­me häu­fig so nega­tiv ange­se­hen und dar­ge­stellt wer­den. Wir wür­den uns sehr freu­en, wenn wir mit unse­rem Bericht, etwas in den Köp­fen ver­än­dern kön­nen.

Bericht: Arno und Loan Hey­ne

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