Warum Mädchen tanzen und Jungs Fußball spielen
Ein überholtes Klischee
Alle kennen es. Und dabei sollte es in der heutigen Zeit längst überholt sein. Tanzen ist für Mädchen, Jungs machen Sport. Am besten Fußball. Unbedingt etwas „Männliches“, das sie stark macht.
Oder noch besser: Männer, die tanzen? Die sind doch alle schwul. Vorurteile, die völliger Quatsch sind, aber gleichzeitig in unserer Gesellschaft noch immer stark vertreten.
Macht Tanzen schwul?
Und warum müssen tanzende Männer direkt schwul sein? Macht Tanzen schwul? Woher kommt dieses Bild? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.
Tanzen fördert das Körperbewusstsein und schult die Motorik. Vielen Tänzer*innen sieht man an, dass sie tanzen: ein anderer Gang, feinere Bewegungen, eine gute, gerade Haltung. Manchmal sorgt dieses „andere“ Bewegungsmuster dafür, dass männliche Tänzer ein bisschen androgyner wirken.
Davon abgesehen: „Ein Mann, der seine Hüfte bewegen kann. Das ist nicht männlich. Nicht bei uns Mitteleuropäern. Wir haben das nicht im Blut.“ Schade eigentlich, oder?
Persönliche Erfahrung
Ich habe jetzt seit über 20 Jahren mit Tanz zu tun und kann offen und ehrlich sagen: Ich kenne mehr männliche Tänzer, die hetero sind, als schwule. Und viele davon sind sehr männlich.
Warum? Weil sie wissen, wie sie eine Frau zu behandeln haben. Sie haben häufig schon jung gelernt, respektvollen Körperkontakt zu haben, haben sich bewusst oder unbewusst mit dem anderen Geschlecht auseinandergesetzt und erfahren, wie man als Paar im Team arbeitet.
Werte für die nächste Generation
Nun frage ich mich als erwachsene Frau, die eine Familie plant: Sind das nicht Charaktereigenschaften, die ich mir für meinen Sohn wünsche? Dazu Selbstbewusstsein, eine gute, gesunde Haltung und ein gutes Körpergefühl? Für mich klingt das alles ziemlich erstrebenswert.
Unterschiedliche Erwartungen an Kinder
Und dennoch, schon von klein auf werden unsere Kinder entsprechend geschult.
Ein kleines Mädchen zeigt ihren Eltern, Onkel, Tante oder Großeltern einen Tanz, den sie sich ausgedacht hat. So süß. Sie wird gelobt und gefördert. „Vielleicht sollten wir sie im Ballett anmelden. Oder zum Kindertanz?“
Ein kleiner Junge macht das Gleiche. Etwas ganz Natürliches. Kinder tanzen oft schon bevor sie laufen können. Auch süß. Aber: „Komm, lass uns Fußball spielen gehen.“
Im besten Fall. Im schlimmsten Fall kommt Folgendes: „Jungs tanzen nicht. Das ist doch Mädchenkram.“ Und dann zueinander: „Wir sollten einen Sport für ihn finden. Am besten in der Mannschaft, damit er taff und stark wird.“
Tanzkurse im Jugendalter
Einige Jahre später steht gegebenenfalls der Tanzkurs in Gesellschaftstanz an. Viele Mädchen wollen gerne. Jungs sind Mangelware. Schließlich ist Tanzen uncool. Männer tanzen nicht und davon mal ganz abgesehen: „Ich bin doch nicht schwul.“
Einige Söhne werden dann zum Kurs gezwungen: „Wir bezahlen dir nur den Führerschein, wenn du mindestens einen Kurs machst.“ Unglaublich, aber wahr – wir haben das alles schon erlebt.
Mit ein bisschen Glück bringt der Tanzkurs dann Spaß. Es wird eine gute Erinnerung, auch wenn der Start vielleicht nicht so ideal war.
Wenn Tanzen schwerfällt
Im schlimmsten Fall fällt dem Jungen das Tanzen auch noch schwer. Die Koordination ist nicht ganz da, er fühlt sich unwohl und es ist peinlich.
Aber woher soll die Koordination auch kommen? Er steht da, zusammen mit den Mädchen, die sich meistens schon irgendwie tänzerisch ausprobiert haben. Für sie war Bewegung zu Musik nicht so tabu.
Wäre es anders gewesen, wenn er als Kind hätte tanzen dürfen? Wir wissen es nicht. Aber Jungs, die sich schon jung mit Tanz oder Turnen auseinandergesetzt haben, tun sich häufig leichter und fühlen sich wohler. Sie gehen auch häufig natürlicher mit dem anderen Geschlecht um, auch wenn das alles am Ende natürlich keine Garantie dafür ist.
Ein Appell an Eltern
Also: Eltern, lasst eure Kinder tanzen. Egal ob Junge oder Mädchen, ob in Kursen, Tanzschulen, Tanzsportclubs, von der Schule organisiert oder einfach nur zuhause.
Es wird ihnen guttun. Und es muss ja auch nicht unbedingt Ballett oder Paartanz sein. Tanz ist so vielfältig, dass für die verschiedensten Geschmäcker und Talente etwas dabei ist.
Tanz ist etwas Wunderschönes.
Wenn Kinder tanzen dürfen, tanzen sie nicht nur mit ihrem Körper –
sie tanzen mit ihrer Seele.