Die Macht der Glaubenssätze
„Du musst etwas tun, damit ich dich liebe.“
Ich erinnere mich an diese kalten Nächte, in denen ich im Dunkeln lag und mich fragte, warum ich nicht genug war. Warum ich nicht einfach geliebt werden konnte, ohne Bedingungen, ohne Forderungen, ohne ein ständiges „Wenn du… dann liebe ich dich“.
Meine Mutter war eine wunderschöne Frau. Schlank und zierlich. Doch ihre Liebe war niemals bedingungslos. Sie war an Bedingungen geknüpft, an Leistung, an Erwartungen. Ihre Sätze hallen bis heute in mir nach:
„Iss auf, und ich liebe dich mehr.“, „Räum dein Zimmer auf, dann bist du eine gute Tochter.“, „Wenn du brav bist, dann habe ich dich lieb.“
Doch der schlimmste Satz, der mich für Jahrzehnte prägte, lautete: „Du musst etwas tun, damit ich dich liebe.“
Ich war in meinem Leben nie schlank. Ich war immer dick. Ich war nie die Tochter, die sich meine Mutter wünschte. Nie hübsch genug, nie schlank genug, nie gut genug.
Ich wuchs mit dem tief verwurzelten Glauben auf, dass Liebe nicht einfach existierte – sie musste verdient werden. Ein Leben lang kämpfte ich darum, gut genug zu sein. Ich war das Kind, das immer funktionierte, das sich anstrengte, das versuchte, alles richtig zu machen. Doch egal, wie sehr ich mich bemühte, die Liebe meiner Mutter war nie bedingungslos. Sie war ein Handel – und ich zahlte mit meiner Seele.
Zwischen zwei Welten gefangen
Mein Vater hingegen war das genaue Gegenteil. Er liebte mich so, wie ich war. Er wollte, dass ich stark, unabhängig und klug werde. „Du musst studieren, mein Mädchen“, sagte er oft. „Glaube nicht, dass du jemanden brauchst, der dich versorgt. Sei frei. Sei du selbst.“
Seine Worte waren wie ein Licht in der Dunkelheit, aber die Schatten meiner Mutter waren stärker. Ihre Manipulation war allgegenwärtig, ihre Urteile wie unsichtbare Fesseln. Sie tat alles dafür, mein Studium zu torpedieren und mich zum Scheitern zu bringen. Ihre Worte waren: „Du bist schon hässlich und fett und wenn du jetzt auch noch zu klug wirst, dann will dich kein Mann heiraten!“
Doch ich habe entgegen ihrem Willen tatsächlich studiert und mein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Sehr zur Freude meines Vaters.
Ich suchte nach Liebe, nach Anerkennung. Ich war die Freundin, die alles gab, die Partnerin, die sich aufopferte. Ich war bereit, mich selbst zu verlieren, nur um geliebt zu werden. Aber es war nie genug. Ich war nie genug.
Der tiefste Schmerz
Dann kam der Tag, an dem mir alles wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Die Erkenntnis traf mich wie ein Faustschlag: Ich würde nie genug sein – nicht für sie, nicht für irgendwen, solange ich selbst nicht glaubte, dass ich es wert war.
Ich brach zusammen, fiel in ein Loch, aus dem ich keinen Ausweg sah. All die Jahre des Kämpfens, des Versuchs, Liebe zu verdienen, hatten mich ausgelaugt. Und schlimmer noch: Die Angst, wie meine Mutter zu werden, hatte mich mein eigenes Leben lang blockiert.
Ich hatte mich so sehr davor gefürchtet, ihre Kälte weiterzugeben, dass ich mir das Muttersein selbst verwehrte. Ich liebte und vergötterte Kinder, aber die Angst, nicht genug zu sein, war größer. Und als ich endlich den Mann fand, mit dem ich mir ein Leben vorstellen konnte, war es zu spät. Zu spät für das Kind, das ich mir gewünscht hatte.
Bereue ich es? Ja. Ich würde lügen, wenn ich Nein sagen würde. Aber mein Vater hatte mir einen der wertvollsten Glaubenssätze mitgegeben:
„Ärgere dich nicht über Dinge, die du nicht ändern kannst.“
Der Weg zurück zu mir selbst
Lange habe ich gehadert, gekämpft, mich gefragt, was hätte sein können. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, mich selbst gequält mit „Was-wäre-wenn“-Gedanken. Doch eines Tages stand ich vor dem Spiegel, blickte mir tief in die Augen und verstand:
Ich kann mich weiterhin an dem festklammern, was nicht mehr ist, oder ich kann beginnen, mich endlich selbst anzunehmen.
Ich habe gelernt, dass mein Wert nicht von der Liebe anderer abhängt. Dass ich mich nicht mehr beweisen muss, um gesehen zu werden. Dass Liebe – wahre Liebe – nichts ist, das man sich erkämpfen muss. Sie ist da oder sie ist es nicht.
Heute bin ich kein Opfer meiner Vergangenheit mehr. Ich trage die Wunden, ja, aber sie definieren mich nicht. Ich bin die Frau, die trotz allem weitergemacht hat, die sich selbst aus dem Dunkel gezogen hat und die gelernt hat, dass sie immer schon genug war – einfach, weil sie ist.
Habe ich meiner Mutter verziehen? Ich arbeite daran, denn Vergebung bedeutet für mich nicht, dass es in Ordnung war, was sie mir antat. Es bedeutet für mich, meine Seele zu befreien, um Platz für schöne Dinge, Erinnerungen und Erlebnisse im Leben zu schaffen.
Und vielleicht ist das die größte Befreiung überhaupt.
Wie du Glaubenssätze auflöst
Glaubenssätze sind unsichtbare Ketten, die uns gefangen halten. Sie bestimmen, wie wir über uns denken, wie wir handeln, wie wir lieben. Doch es gibt einen Weg, sie zu brechen:
- Erkenne deine Glaubenssätze – Welche Sätze haben sich in dein Inneres eingebrannt? Welche Überzeugungen hast du aus deiner Kindheit übernommen?
- Hinterfrage sie – Sind sie wirklich wahr? Oder sind sie nur die Worte von Menschen, die selbst gebrochen waren?
- Ersetze sie durch neue Wahrheiten – Statt „Ich bin nicht genug“ sage dir: „Ich bin wertvoll, so wie ich bin.“
- Hole dir Unterstützung – Niemand muss diesen Weg allein gehen. Sprich mit Freunden, Therapeuten oder Selbsthilfegruppen.
- Sei geduldig mit dir selbst – Glaubenssätze, die Jahrzehnte lang gewachsen sind, verschwinden nicht über Nacht. Aber jeder kleine Schritt ist ein Schritt in die Freiheit.
Du bist nicht allein
Wenn du dich in meiner Geschichte wiederfindest, wenn du das Gefühl hast, nie genug zu sein, dann bitte ich dich: Suche Hilfe. Niemand sollte diesen Schmerz allein tragen.
In Schleswig-Holstein gibt es zahlreiche kostenlose Beratungsstellen, die dir helfen können:
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ – Bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die psychische oder körperliche Gewalt erlebt haben. Anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar unter 116 016 oder unter www.hilfetelefon.de.
- Telefonseelsorge – Rund um die Uhr anonym und kostenlos unter 0800-1110111 oder 0800-1110222.
- Weißer Ring – Hilfe für Opfer von Gewalt und Missbrauch. Erreichbar unter 116 006 oder unter www.weisser-ring.de.